neue SDS-Vortragsreihe: kritische Perspektiven auf …

neue SDS-Vortragsreihe: kritische Perspektiven auf …

Wie nun fast jedes Semester haben wir als Gruppe auch auch für das Wintersemester 2016/17 wieder eine kritisch-politische Vortragsreihe auf die Beine gestellt. Nachdem wir im vergangenen Semester einen Blick auf feministische Theorie und Praxis im internationalen Kontext geworfen haben (vgl. Feminismus-Vortragsreihe), ist die nun anstehende Reihe nicht an ein Oberthema gebunden, vielmehr orientiert sie sich an aktuell dringenden und daher auch uns unter den Nägeln brennenden Themen.

Wir hoffen, dass für Euch alle der ein oder andere Vortrag auf Interesse stößt. In jedem Falle heißen wir Euch herzlichst willkommen!

Die Vorträge finden an unten aufgeführten Daten immer von 20 bis 22 Uhr im Raum +1/0120 im Hörsaalgebäude (Biegenstraße) hier in Marburg statt.

 

 

 

 

 

Programm

(Frei)Handel und Konsum – 27. Oktober

CETA sei kurz vor dem Aus, heißt es – TTIP werde weiter verhandelt. Seit Jahren treibt es Tausende Menschen in ganz Europa gegen die genannten Abkommen auf die Straße. Die Interessen derjenigen, die negative Auswirkungen in allen Lebensbereichen befürchten, haben bei derartigen Projekten auch in der Geschichte kaum Beachtung gefunden. Mit diesem Umstand sind zwei Dimensionen verbunden: Einerseits scheinen bestimmte Gruppen an solchem Freihandel ein Interesse hinsichtlich ihrer Machterhaltung zu haben, was die geplanten Abkommen in den Kontext der Herrschaftssicherung stellt. Andererseits sind diese Abkommen Gegenstand verfassungs- und verbraucherrechtlicher Diskussionen.

Ridvan Ciftci, rechtswissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bielefeld, wird in seinem Vortrag diesen Problemkomplex beleuchten und über die Frage diskutieren, wie sich das neoliberale Produktionsregime durch diese Art des "neuen Konstitutionalismus" absichert und welche verfassungs- und verbraucherschutzrechtlichen Probleme dabei bestehen.

Die US-Wahlen und ihre Folgen – 10. November

Im Frühjahr und Sommer 2016 fanden die Vorwahlen in den USA statt, großangelegte Kampagnen zu Findung der Kandidaten für das Präsidentschaftsamt. Lange war Bernie Sanders aussichtsreicher Konkurrent der demokratischen Kandidatin Hillary Clinton. Auf republikanischer Seite galt Donald Trump als Außenseiter, bis er sich u.a. gegen Ted Cruz und Jeb Bush durchsetzen konnte. Nun da Clinton und Trump die einzigen übriggebliebenen Kandidat*innen sind, stellt sich die Frage was die Folgen ihrer Wahl sein werden. Wie wird sich die Politik der USA verändern, sollte Trump zum Präsidenten gewählt werden? Welchen Einfluss wird die Kampagne "political revolution" von Bernie Sanders auf Clintons Politik im Falle ihrer Wahl haben?

Referent*in: Ingar Solty, Politikwissenschaftler, University of Toronto

Lesetipp: Wegen Trump droht ein gefährliches Rollback – Der Politik- und Sozialwissenschaftler Ingar Solty über Ursachen und Folgen des Wahlergebnisses in den USA“, in: Neues Deutschland, 11.11.2016

Geschichte des deutschen Kolonialismus - Ein Überblick24. November

Als am 16.10.2016 mehr als 50 Ovaherero und Nama-Delegierte protestierend durch Berlin und zum geplanten Humboldt Forum, der rekonstruierten Residenz des Kolonialherrschers und Völkermörders Wilhelm II. zogen, erklang ein Lied mit dem Refrain "What have we done?" immer und immer wieder. Es fragte nicht nur, womit die im Genozid von 1904-08 fast vollständig vernichteten Gemeinschaften der Ovaherero und Nama aus dem heutigen Namibia ihr unbarmherziges Schicksal verdient hätten. Es fragt auch, warum ihnen bis heute keine förmliche Anerkennung des Genozids von deutscher Seite, keine Entschuldigung und erst Recht keine Entschädigung für ihre gravierenden Verluste an Land und Vieh zuteil wurden.

Doch der Refrain "WHat have we done?" sprach nicht nur die afrikanischen Menschenrechtsaktivist_innen an. Er traf auch für die mitsingenden weißen Deutschen zu, denn bislang ist ja noch keineswegs allgemein bekannt, welch grauenhaften Verbrechen deren Vorfahren in den ehemaligen Kolonien begangen haben. Und es fragt sich schließlich auch, warum bis heute so wenig für eine umfassende und kritische Auseinandersetzung mit unserer verwobenen Kolonialgeschichte getan wurde.
Wie lässt sich die jahrelange koloniale Amnäsie der Deutschen und der Europäer insgesamt erklären? Und warum scheint sich daran ganz allmählich etwas zu ändern?

Referent*in: Christian Kopp, Historiker, Berlin Postkolonial e.V.

Bildungsbenachteiligung an Hochschulen – 19. Januar

Haben alle Kinder dieselben Chancen auf ihrem Bildungsweg, unabhängig von den Berufen ihrer Eltern? Oder gibt es Unterschiede zwischen Kindern von Arbeiter*innen und Akademiker*innen? Welche Gründe gibt es überhaupt für ein Studium oder eine Ausbildung? Um diese und weitere Fragen zu klären, haben wir den Soziologen Andreas Kemper nach Marbug eingeladen.

Andreas Kemper kommt selber aus einer Arbeiter*innenfamilie und studierte an der Universität Münster Philosophie, Soziologie und Pädagogik und verfasst derzeit seine Dissertation zum Thema "Klassismus.Begriff und Gegenstand" am Institut für Soziologie der Universität Münster.

Neoliberale Stadtpolitik – 26. Januar

Der Neoliberalismus wirkt sich auch auf das Stadtleben negativ aus - er sorgt für Gentrifizierungsprozesse (Mietpreissteigerung und Verdrängung nicht-wohlhabender Schichten an den Stadtrand) nicht nur in Großstädten, sondern auch in der Marburger Nordstadt. Mit Kaltenegger haben wir einen erfolgreichen Kämpfer gegen diese Prozesse in Graz, wo seine KPÖ mit über 20% in die Kommunalparlamente sitzt und für eine soziale Stadt eintritt. Schalauske kämpft mit der Marburger Linken gegen ähnliche Prozesse hier vor Ort an, mit Wiegand haben wir einen kompetenten Menschen gewonnen, der die Prozesse aus einer wissenschaftlichen Perspektive ausführen kann.

Podium mit Ernest Kaltenegger (KPÖ Graz), Jan Schalauske (Marburger Linke) und Felix Wiegand (Politikwissenschaftler, Uni Frankfurt)

Reform und Revolution – 2. Februar

Wo bitte schön geht es zu einer nachkapitalistischen Gesellschaft? Diese Frage beschäftigt linke Kräfte seit ihrer Existenz. Meistens geht es dabei um die Frage, ob es möglich ist, durch Reformen auf friedlichem Weg im Rahmen der bürgerlichen Demokratie in den Sozialismus hineinzuwachsen oder ob es dafür den revolutionären Bruch mit den bestehenden Institutionen braucht. Die deutsche Linke hat sich bereits 1917-19 an dieser Frage in verschiedene Parteien gespalten. Diese Debatte soll weitergeführt werden - Dr. Brangsch vertritt dabei den neuen Ansatz, beides in Form einer allgemeinen Transformationsstrategie zusammenzudenken.

Podium mit Dr. Lutz Brangsch (RLS, Transformationstheoretiker), Henning Mächerle (DKP Gießen), Vertreter*innen der Organisation deutschsprachiger Anarchist*innen, Martin Delius (Mitglied Bundesvorstand "forum demokratischer sozialismus")

Der Ausnahmezustand in der Türkei und in Nordkurdistan – 9. Februar

Mit dem Putschversuch von Teilen des Militärs und seiner Niederschlagung durch AKP-treue Spezialeinheitenund Polizei, begann in der Türkei und in Nordkurdistan eine neue Ära. Sämtliche Konkurrenten der Regierungspartei in den Behörden, Ministerien, Universitäten und im Militär wurden seit dem 15.7.16 ausgeschaltet. Mehr als 140.000 Entlassungen und Suspendierungen, mehrere zehntausend Inhaftierungen und eine komplette Umstrukturierung des Militärs sprechen für sich. Der Einmarsch in Rojava/Nordsyrien seitens der umgebauten türkischen Armee und dschihadistischer Gruppierungen, wäre vor dem Putschversuch ebenfalls so nicht möglich gewesen. Die faschistische Partei der Grauen Wölfe, MHP, und die nationalistischen so genannten Sozialdemokraten der CHP stehen in einer Koalition der "Nationalen Einheit" in zentralen Fragen hinter der AKP und Erdogan. Das verbindende Element ist Nationalismus und Kurdenhass. Mittlerweile gibt es so gut wie keine kurdischen und pro-demokratischen Medien mehr, die Tageszeitung Özgür Gündem, sowie der Nachrichtenkanal imc TV wurden verboten. Selbst der kurdische Kinderkanal Zarok TV darf nicht mehr senden. Das erinnert an die 80er und 90er Jahre, den dunkelsten Zeiten der Türkischen Republik. Die einzigen, die starken Widerstand leisten, sind auf parlamentarischer Ebene die Demokratische Partei der Völker, HDP, und die kurdische Freiheitsbewegung. Doch wird das ausreichen?

Referent*in: Kerem Schamberger studiert in München Kommunikationswissenschaften, ist Sprecher der DKP München und der Marxistischen Linken, arbeitet mit dem Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung (isw) zusammen und betreibt einen politischen Blog, auf dem er kritische Berichterstattung vor allem aus der Türkei und Nordkurdistan teilt.