Wir begrüßen sehr, dass sich die Parlamentarier*innen des Studierendenparlaments soeben mehrheitlich gegen Bestrebungen der Widereinführung von Studiengebühren ausgesprochen hat. Der nach einigen Änderungen vom Studierendenparlament angenommene Antrag* im Wortlaut:
Die Student*innenschaft der Philipps-Universität Marburg verurteilt die Versuche, erneut Studiengebühren in Deutschland einzuführen. Wir verteidigen das Menschenrecht auf Bildung unabhängig von Einkommen, Herkunft, sexueller Orientierung, Behinderung oder Geschlecht. Jegliche Form von Studiengebühren, sowie alle andere Hochschulzugangsbeschränkungen stehen diesem Menschenrecht diametral entgegen.
Nachdem mit dem Bildungsstreik 2009 Student*innen, Schüler*innen und Dozierende durch Proteste von Hunderttausenden sowie massenhaften zivilen Ungehorsam es bereits einmal schafften, Studiengebühren weitestgehend abzuschaffen, arbeitet nun eine neoliberale Koalition aus der Hochschulrektorenkonferenz, einer Wissenschaftsministerin aus Heidelberg an einem Versuch der Widereinführung. Die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg – allen voran die grüne Wissenschaftsministerin Theresia Bauer – wollen Studiengebühren wieder einführen: Zunächst "nur" 650€ für ein Zweitstudium und "nur" 1500€ für Nicht-EU-Ausländer*innen. Die Masse der Student*innen soll im Glauben gelassen werden, dass sie diese Pläne nicht beträfen. Sie sollen glauben, dass sie noch einmal verschont bleiben würden. Doch die Student*innen haben bereits die größere Tragweite der aktuellen Studiengebühren-Pläne erkannt und gehen gegen diese auf die Straße. Sie haben erkannt, dass zunächst Gebühren für vermeintliche Randgruppen eingeführt werden sollen um insgesamt das Konzept von Studiengebühren in Deutschland wieder zu legitimieren. Die Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer*innen, sowie für ein Zweitstudium sind daher nur die Vorstufe für allgemeine Studiengebühren. Hierzu passt, dass FDP und CDU in Nordrhein-Westfalen auch bereits wieder die Einführung von Studiengebühren fordern. Studiengebühren sind in jeglicher Form abzulehnen – egal ob diese nur für "Randgruppen", nur für spezifische Studiengänge oder nur für ein Zweit- oder ein Drittstudium erhoben werden. Auch nachgelagerte Studiengebühren lehnt die Student*innenschaft entschieden ab. In einer der reichsten Wirtschaftsnationen kann jedoch in keinem Falle die Rede davon sein, dass Studiengebühren nötig wären, um die Bildungsfinanzierung sicherzustellen. Also kann es für die Student*innenschaft nur heißen: Bildung – von der KiTa bis zur Habilitation – muss kostenfrei sein. Auch Versuche, den Erwerb von Bildung an rechtliche Pflichten nach Verlassen der Bildungsinstitution zu knüpfen – so etwa aktuell in Ungarn, wo Student*innen staatlich gezwungen werden, nach Erwerb ihres Abschlusses zunächst für zehn Jahre in Ungarn zu bleiben – widersprechen dem Menschenrecht auf Bildung. Und damit nicht genug, müssen auch die unabhängig von Studiengebühren schon bestehenden finanziellen und sozialen Hürden zur Aufnahme und Absolvierung eines Studiums fallen. Das betrifft einerseits die "versteckten" Studiengebühren, wie die aufgrund sinkender öffentlicher Finanzierung steigenden Abgaben für Studierendenwerke oder Verkehrsverbünde sowie die sogenannten Verwaltungskostenbeiträge. Die öffentliche Hand ist in der Pflicht, allen ein Studium in bestmöglicher Qualität finanziell zu ermöglichen und dabei auf die, auch jetzt schon in großen Teilen rechtswidrige Datensammelwut der BAföG-Ämter zu verzichten.
Als ob es noch nicht reaktionär genug wäre, Pläne zu verfolgen, welche allgemeine Studiengebühren erneut in die gesellschaftliche Debatte und schließlich auch in die Praxis einführen sollen, werden diese Pläne aus Baden-Württemberg zudem in einer Art und Weise verfolgt, welche rassistische Implikationen enthält.
So ging aus einem im letzten Jahr bekannt gewordenen Gutachten der Wissenschaftsministerin hervor, dass internationale Student*innen nur deswegen zur Zielscheibe wurden, da sie nicht unter das Gleichbehandlungsgebot von EU-Bürgern fallen würden und dass das elterliche Einkommen im Durchschnitt höher sei, als das deutscher Student*innen. Letzteres ist ein reines Märchen. So legen häufig ganze Familien in den Herkunftsländern ihr Geld für das Studium ihrer Kinder in Deutschland zusammen. Die Einkommensverhältnisse sind in fast allen Herkunftsländern schlechter. Außerdem bezahlen ausländische Student*innen bundesweit bereits verschiedenste Gebühren, die nur sie treffen, wie z.B. für die Prüfung ihrer Unterlagen durch 'uni-assist' oder für Sprach- und . Sie haben nur im absoluten Ausnahmefall Anspruch auf BAföG, verfügen selten über ein Stipendium und haben es häufig schwer, eine Wohnung zu finden. Darüber hinaus dürfen internationale Student*innen in Deutschland höchstens 120 Tage arbeiten. Kaum genug für 3000 € Gebühren und ein Leben über dem Existenzminimum. Die Wissenschaftsministerin begründete ihren Schritt mit der falschen Behauptung, Student*innen aus Nicht-EU-Ländern fehle generell und unabhängig von ihrer persönlichen Lage ein Inlandsbezug – insofern würden sie Baden-Württemberg nach ihrem Studium alle auf schnellstem Wege wieder ver-lassen. Eine Aussage, dessen rassistisch motivierter Kern kaum zu überbieten ist.
Aufgrund all dessen ist es jetzt wichtig, den Kampf gegen die sich anbahnende flächendeckende Wiedereinführung von allgemeinen Studiengebühren wieder aufzunehmen. Dieser kann nicht darin bestehen nur individuelle Interessen zu verteidigen, sondern bedeutet in der jetzigen Situation Solidarität mit den aktuell Betroffenen und allen zukünftigen Kommiliton*innen zu üben, sowie gegen die weitere Vermarktlichung des Bildungssystems vorzugehen. Insofern muss der Kampf gegen Studiengebühren auch im Besonderen das Schmieden von Bündnissen über die gesellschaftlich konstruierten Spaltungslinien von (sozialer) Herkunft, sexueller Orientierung, Behinderung oder Geschlecht hinweg bedeuteten.
-
Die Student*innenschaft wird sich (auch) daher an den Bildungsprotesten des kommenden Jahres, insbesondere im Rahmen der Kampagne "Lernfabriken meutern...!", beteiligen.
-
Die Student*innenschaft begreift sich als solidarischen Teil der Bildungsprotest-bewegung, übt aktive Solidarität mit den aktuell betroffenen Student*innenschaften insbesondere in Baden-Württemberg und unterstützt Aktionen des zivilen Ungehorsams, wie die jüngsten Hörsaalbesetzung in Freiburg.
Die Begründung ergab sich aus dem Antragstext und wurde weiterhin mündlich ergänzt.
* Der hier widergegebene Antragstext basiert auf nicht zwangsläufig stimmigen Notizen unserer Parlamentarier*innen und weicht daher aufgrund der Fülle gestellter Änderungsanträge und gefasster Beschlüsse ggf. vom tatsächlich abgestimmten Antrag ab; etwaige Fehler bitten wir zu entschuldigen und werden wir korrigieren, sobald das Sitzungsprotokoll veröffentlicht wird.