Student*innenschaft: »Solidarität mit den von Verdrängung betroffenen linksalternativen Räumen!«

Student*innenschaft: »Solidarität mit den von Verdrängung betroffenen linksalternativen Räumen!«

Von uns (SDS) eingebracht und mit wenigen Änderungen vom 53. marburger Student*innenparlament auf der Sitzung am 6.6.2018 mehrheitlich beschlossen.

Antrag

»Die marburger Student*innenschaft erklärt sich solidarisch mit allen in der Stadt akut bedrohten alternativen Projekten, namentlich dem HavannaAcht und dem Wagenplatz GeisX wie auch mit den im Haus am Plan 3 angesiedelten Initiativen.

Die Student*innenschaft sieht die privatrechtlichen Problemstellungen in Form von zu hoher Miete und damit einhergehender Verdrängung, mit denen sich die Kollektivist*innen des HavannaAcht und Initiativen im Haus am Plan 3 konfrontiert sehen, als eine Folge der jahrzentelangen neoliberalen städtischen Land- und Bundespolitik. Die Bewohner*innen des Wagenplatzes GleisX, deren Flächennutzungsvertrag gekündigt wurde, sind ebenfalls Betroffene dieser Doktrin.

Auch den Umstand, dass sich kleine lokale Läden nicht mehr halten können, sondern zunehmend von Filialen größerer Unternehmen verdrängt werden, sieht die Student*innenschaft als Folge fehlgeleiteter Politik, welche die Interessen des Großkapitals bevorzugt behandelt.

Die Student*innenschaft fordert die aktive Einmischung des Magistrats in die Gespräche um diese Räumlichkeiten und sieht diesen als Mit-Verantwortlichen der Wohnraummisere und der räumlichen Not dieser Projekte.

Der Vorstand des Allgemeinen Student*innenausschusses wird sich aktiv in die Gespräche um die räumliche Situation der Kollektive einbringen.«

Zur Begründung des Antrags haben wir angeführt:

Dem »HavannaAcht«, vielmehr seinen Räumen, droht in Folge eines Immobilienverkaufs und angekündigter Mieterhöhung um 100 Prozent der Untergang.1 Die Menschen, die das »HavannaAcht« betreiben, beschreiben ihre marburger Kneipe als eine, die neben der reinen Gastwirtschaftstätigkeit einen »alternativen Austausch- und Vernetzungsort [...] mit emanzipatorischen und linksradikal-feministischen Anspruch«2&3 darstellt.

Zudem wurde auch dem Wagenplatz GleisX4 von seiten der Stadt ohne Angabe von Gründen gekündigt. Die bisher genutzte Fläche soll bis zum 30.06. geräumt übergeben werden. Alternative Flächen sind bisher nicht vorgesehen.5

Die aktiven Mitglieder von Gleis X streben an, die Wägen zum Wohnen nutzen zu dürfen. Der bisherige Nutzungsvertrag mit der Stadt schloss hingegen explizit eine Wohnnutzung aus. Die Prekarität der aktuellen Situation sollte beendet und Planbarkeit durch eine langfristige Bleibeperspektive geschaffen werden. Der Wagenplatz ist seit seiner Gründung ein gemeinschaftliches selbstorganisiertes Projekt, dass es sich zum Ziel gesetzt hat, gesellschaftliche Alternativen im Zusammenleben aufzuzeigen und auszuprobieren. Neben der Bedeutung für die Aktiven ist der Wagenplatz auch als Veranstaltungsort ein wichtiger Bestandteil der Marburger Kulturlandschaft. So gab es von wochenendlichen Wagenplatzcafès und Kneipenabenden über Konzerte zu Filmaufführungen unterschiedlichste kulturelle Anlässe, mal auf dem in der Alten Kasseler Straße gelegenen Gelände vorbeizuschauen.

Trotz vielfältiger Bemühungen, gemeinsam mit der Stadt eine Perspektive zu entwickeln, gibt es bis auf mündliche Unterstützungszusagen (unter anderen der beiden Bürgermeister) keinerlei Ansätze, um der bedrohlichen Situation abzuhelfen. Auch ein Zusammentreffen mit dem amtierenden Bürgermeister Wieland Stötzel verhallte bisher folgenlos.

Die Verdrängung von Wohnformen, die sich eben jener kapitalistischen Verwertungslogik von Wohnraum bewusst entziehen und damit kritisch hinterfragen, passt dabei ins Konzept der in Marburg vorherrschenden Kommunalpolitik. Denn diese wird fortan durch die in der Regierung angekommene CDU an marktkonformen Idealen ausgerichtet. Die Nutzer*innen des des Wagenplatzes GleisX haben bisher in keinerlei Weise ihre Lebensweise als Allgemeingültig – oder gar für viele Menschen Erwägenswert – formuliert. Dennoch widerspricht eine solche Lebensweise der vorherrschenden Vorstellung, wie Menschen zu leben – gar zu wohnen – haben. Dies schien für den neuen CDU-Bürgermeister Wieland Stötzel Anlass genug, dem künftig einen Riegel vorzuschieben. Die vorherrschenden Vorstellungen allein vom »Leben«, welche die CDU verkörpert, divergiert jedoch gewaltig von der Lebensrealität der meisten Student*innen, nicht zuletzt auch in Wohnraumfragen. Angesichts der SPD-geführten Regierung stellt sich nun die Frage, warum der Nutzungsvertrag mit der Stadt nicht weitergeführt wird – und auf welche alternativen gleichwertigen Flächen die SPD das Kollektiv verweist. Soweit er Magistrat wie auch insbesondere SPD-Oberbürgermeister Spieß an diesem Schritt festhält, wäre das Bestreben, hier vorsätzlich einen kritisch-kollektivistischen Zeitgeist der Stadt zu zerstören und die Bewohner*innen ihrer Lebensgrundlage zu berauben, augenscheinlich.

Die Kollektivist*innen der seit 1985 in Marburg existierenden linksalternativen Kneipe »HavannaAcht« verstehen diese »als einen politischen Schutzraum, in welchem im Umgang miteinander auf Alltragsdiskriminierungen geachtet wird«.6 Es gibt in Marburg Kneipen wie Sand am Meer. Aber neben dem Nützlichen, Räumlichkeiten für kritische Vorträge, Vorlesungen oder Filmabende bereitstellen zu können, stellt die Kneipe in ihrem "Alltagsgeschäft" unter dem großen Teil linkspolitisch affiner Menschen doch die "eigene" dar. Hierbei herrschte in jederlei Hinsicht nicht das Geschäftemachen, sondern seit über 30 Jahren und über Generationen linker marburger Studis hinweg gegenseitige Solidarität vor – und das wird noch heute aktiv gelebt. Es gibt bisher leider keine andere Kneipe, welche die Notwendigkeit anerkennt, dass Diskriminierung marginalisierter gesellschaftlicher Gruppen stets problematisiert und auch im Kneipenalltag aktiv und präventiv begegnet werden muss.

Keinen Steinwurf vom HavannaAcht entfernt sind Gentrifikationsprozesse – wie in der gesamten Stadt – seit langem sichtbar. Am wohl augenscheinlichsten ist dies durch die Verdrängung kleiner lokaler Betriebe aus der Oberstadt und dem aus-dem-Boden-Stampfen der MarburgMall in der Universitätsstraße. Durch die von der marburger SPD in Angriff genommenen Leistungskürzungen vorwiegend in den sozialen und kulturellen Bereichen wird dieser Verdrängungsprozess noch beflügelt. Das sowieso schon am Rande der Kernstadt gelegene Café Trauma strauchelt bereits ebenfalls in finanziell prekärer Lage. Es scheint ganz so, als müssten sich die letzten verbliebenen linksalternativen Kollektive bei jenen einreihen, die, wie in den 70er Jahren bereits das sog. »Biegeneck« am Rudolphsplatz, unlängst verdrängt worden sind.

Insbesondere der gelebten Solidarität wegen haben sich solche kollektivistisch organisierten, selbstverwalteten Räumlichkeiten als Reliquien früherer Kämpfe jedoch bis heute gehalten. Solidarität unter jenen in Zeiten, in denen sie angesichts einer Zuwendung der bisherigen "gesellschaftlichen Mitte" zur Rechten mehr denn je auf eigene Räumlichkeiten angewiesen sind. Denn zu diesen jenen sind nunmal auch alle Besucher*innen des HavannaAchts zu zählen. Die Bereitschaft des Kollektivs, das Bier zugunsten der zahlungsschwachen – da zumeist studentischen – Kundschaft für beinahe den Selbstkostenpreis rauszugeben, wird schließlich von allen sehr geschätzt. Dafür wurde im Gegenzug auch akzeptiert, dass wegen steigender Mieten nun über eine Anhebung der Preise sowohl für Spezialitäten wie auch der Grundverkostung mehr Geld in die Kasse gespült werden musste, schlicht, um die Existenz der Kneipe zu sichern. Nebenbei gibt es dennoch weiterhin das Bier fast nirgendwo so günstig, wie im HavannaAcht.

Die Kollektive unterscheideen sich allesamt allerdings auch in jeder anderen Hinsicht von den in der Stadt angesiedelten Institutionen sozialer und kultureller Teilhabe: Sie werden in vielen Teilen der marburger Stadtgesellschaft gar als "linksradikal" wahrgenommen. Der marburger Student*innenschaft ist dennoch gut daran gelegen, sich solch pauschalen Plattitüden zum Trotz solidarisch mit all jenenzu erklären, die für konsequenten Antifaschismus eintreten. Jenen, die aufkommender menschlicher Unvernunft etwas entgegen setzten wollen und die begreifen, dass es nicht zuletzt vor dem Hintergrund der jüngeren Geschichte Marburgs samt seiner politischer Aufbrüche (die allesamt nicht vom Himmel gefallen sind) großer Unfug wäre, zu behaupten, dass keine Notwendigkeit linksalternativer Freiräume mehr bestünde. Eine Einschränkung dieser kollektivistischen Strukturen zieht gefährliche gesamtgesellschaftliche Konsequenzen nach sich: In Zeiten rückwärtsgewandter politischer Ambitionen, dem erstarken einer neofaschistischen Partei im Bund und nicht zuletzt vor dem Hingergrund der im Oktober anstehenden Landtagswahlen in Hessen mitsamt dem wohl zu erwartenden Einzug der AfD ist es töricht, allen marburger Linken einen Teil ihrer Existenz absprechen zu wollen. Wer dies vor dem Hintergrund in der Stadt und darüber hinaus bestehender gesellschaftspolitischer Gräben öffentlich gutheißt oder stillschweigend befördert, ist mit Verantwortlich für den weiteren Wandel auch der Stadtgesellschaft. Es wird sich nun zeigen, auf welcher Seite auch für jede künftige Zusammenarbeit die marburger SPD zu verorten ist. Denn damals wie heute verkörpern Studis, Doktorand*innen, Arbeitnehmer*innen, darunter teils linkspolitische Aktivist*innen aber auch einfach ihre Freizeit genießende Menschen in einem wie beschrieben aktiv politisch gelebten Raum – allesamt Besucher*innen bspw. des HavannaAchts – ganz bewusst die Konfrontation mit dem Bestehenden. Und das ist auch gut so.

Der Anschlag in der Stadt auf eine Moschee am Richtsberg, die von der breiten Bürgerschaft seit jahrzehnten gelebte Normalität Seite an Seite mit politisch aktiv agierenden extrem rechten Burschenschaften, ein Aufbegehren der »Identitären Bewegung« und nicht zuletzt rechte Anschläge auf das HavannaAcht selbst unterstreichen die Notwendigkeit, dass Marburg diese Konfrontation dringend nötig hat. Mehr denn je bedarf es dieser gelebten Alternativen zu Hass und Gewalt. Diese Projekte sind die letzten nichtkommerziellen und selbstverwalteten – Strukturen wie das HavannaAcht, das Haus am Plan 3 und den Wagenplatz GleisX müssen vor dem neoliberalen Umbau der Stadt als eine Stadt der Vielen dringend geschützt werden.

 

Gesamter eingebrachter Antragstext hier als PDF (Antragsversion! enthält keine Änderungen der Sitzung).