Student*innenschaft zum bevorstehenden Verkauf des Ringlokschuppens durch die Stadt Marburg

Vom Student*innenparlament auf der Sitzung am 21.6.2017 mehrheitlich beschossen; Antrag eingebracht von Referent*innen sowie des Vorstands des AStA sowie mit einer von uns (SDS) eingebrachten und den Antragsteller*innen übernommenen Änderung (Ergänzung der Sätze 2 und 3).

Ende letzten Jahres beschloss die Stadt Marburg, den sich im Verfall befindlichen Ringlokschuppen am Waggonhallenareal zu verkaufen. Dies war bereits ein großer Fehler. Die Privatisierung eines solchen Industrieareals ist ein weiterer Ausverkauf öffentlichen Eigentums und erschwert eine solidarisch-gemeinnützige Nutzung erheblich. Es wurde entschieden, dass dies per Konzeptausschreibung mit sogenannter Bürger*innenbeteiligung geschehen soll. Es gab die Möglichkeit bis zum 31.03.2017 Konzepte einzureichen, die nach den Kriterien Denkmalschutz, energetischer Sanierung und Einpassung in das Areal von einem Auswahlgremium in zwei Verfahrensrunden ausgewählt wurden und am 30.06.2017 der Stadtverordnetenversammlung zur abschließenden Abstimmung vorliegen werden.

Schon die Gestaltung der Konzeptausschreibung mit sog. Bürger*innenbeteiligung wirft die Frage auf, wie ernst es die Stadt Marburg mit der Partizipation der Marburger*innen nimmt. Zum einen setzte sich das Auswahlgremium aus 5 Gruppen mit je einer Stimme zusammen. Die Mehrheit wird durch städtische Vertreter*innen bzw. angeschlossenen Gremien gestellt, namentlich der Magistrat, die städtische Bauverwaltung, der Denkmalbeirat und die Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung. Lediglich eine Stimme haben die Anliegenden, also Rotkehlchen, Waggonhalle, Radio unerhört, etc. Wie bei einer solchen Zusammensetzung von Bürger*innenbeteiligung gesprochen werden kann, wenn letztlich städtische Institutionen die Mehrheit bilden, ist uns ein Rätsel.

 

Zum anderen ist vollkommen unklar, warum in dieser Phase des Auswahlprozesses weder zielgruppenorientierte Partizipationsformate, wie beispielsweise Befragungen von Nutzer*innen des Geländes oder der Einbezug der Student*innenvertretung als Repräsentant*in einer großen Nutzer*innengruppe stattgefunden haben. Dabei wäre es gerade bei der Frage der zukünftigen Gestaltung eines Kulturgeländes, nicht nur für die direkten Anliegenden, sondern für die gesamte Stadtgesellschaft von Relevanz rechtzeitig und angemessen eingebunden zu werden. Lediglich ein einziger Infoabend, auf dem die Konzepte vorgestellt wurden, stand allen Marburger*innen zur Information über die Konzepte zur Verfügung. Wie die auf der Informationsveranstaltung artikulierten Fragen, Bedenken und Anmerkungen der Marburger*innen Einfluss auf die Meinungsbildung in den Fraktionen und schließlich die Entscheidung in der Stadtverordnetenversammlung haben, wurde vermutlich absichtlich nicht genauer erläutert, um die Konsequenzlosigkeit der Bürger*innenbeteiligung nicht offensichtlich zu machen. Für uns wird deutlich, dass der Öffentlichkeit nur ein demokratischer Prozess vorgespiegelt wird, die Stadt jedoch kein wirkliches Interesse an politischer Partizipation durch ihre Bürger*innen hat.

Es stehen nun, nach der zweiten Verfahrensrunde, zwei Konzepte zur Auswahl. Eines davon ist die Bietergemeinschaft Schneider und Co, die zusammen mit dem Christus Treff (CT) den Ringlokschuppen kaufen will. Die Besitzer der Firma Schneider und Co, sowie der Architekt, Anwalt und Kaufmännische Geschäftsführer sind selbst alle Teil der Christus Treff Gemeinde. Der Christus Treff hat vor, das an den Ringlokschuppen angrenzende Werkstattgebäude, in einen Erlebnisraum für Kinder umzubauen und den im Ringlokschuppen geplanten Veranstaltungsraum für ihre sonntäglichen Gottesdienste zu nutzen. Wir verurteilen zutiefst, dass dem Christus Treff noch mehr Raum in der Stadt gegeben werden soll. Der Christus Treff vertritt ein ultrakonservatives Geschlechterbild sowie homofeindliche, transfeindliche und sexistisches Positionen, was u.a. durch Kooperation mit anderen homofeindlichen und sexistischen Organisationen deutlich wird. Problematisch ist, insbesondere bei der Vergabe von Räumlichkeiten an den Christus Treff inmitten eines Kulturgeländes, nicht nur die Menschenverachtung an sich, sondern, dass darüber hinaus durch die Räumliche Präsenz solcher Strukturen in kulturellen Arealen eben diese menschenverachtenden Diskurse normalisiert und allgemeingesellschaftlich akzeptabel gemacht werden. Dieser gefährlichen Tendenz gilt es entgegen zu treten. Die Stadt Marburg ist in der Verantwortung zu verhindern, dass diskriminierendes Verhalten Platz in der Stadt findet. Wir fordern daher die Stadtverordnetenversammlung auf, die Bedenken gegen den Christus Treff, die in diesem Statement, der Informationsveranstaltung und von anderen Kritiker*innen, geäußert wurden, aufzugreifen und die Vergabe des Ringlokschuppens an einen menschenverachtenden Verein zu verhindern.