Antifaschismus heißt nicht Abschiebung - Antifaschismus heißt Kampf gegen Kapital!
Mit diesen Denkanstößen erheben wir keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern möchten die aktuelle Situation kontextualisieren. Eine Kontextualisierung wird oftmals mit Rechtfertigung und einer Billigung verwechselt. Schließlich würde auch niemand Wissenschaftler*innen, die zu den Ursachen des Nationalsozialismus forschen und lehren, vorwerfen, diesen zu rechtfertigen.
Zahlreiche Kriege sowie bewaffnete Konflikte, über 100 Mio. Geflüchtete weltweit, der Klimawandel und Armut
für einen immer größer werdenden Teil der Gesellschaften - all das sind akute Menschheitsprobleme.
Die Bundesregierung mit ihrer proklamierten "Zeitenwende" antwortet darauf, indem sie sich außenpolitisch stärker militarisiert und innenpolitisch massiv kürzt und damit die Konkurrenz in allen Bereichen verschärft.
Das schafft den Nährboden für Menschenfeindlichkeit, die Weltkriegsatmosphäre und eine hasserfüllte Debattenkultur.
Aktuell steht im "Land der Täter" eine ganze Menschengruppe an Muslim*innen und arabischen Menschen vor dem Generalverdacht des Antisemitismus und der Terror-Unterstützung. Letzteres drückt sich in immer stärker entmenschlichten Abschiebeforderungen aus, durch die GEAS-Reform EU-weit durchgebracht und von Bundeskanzler Scholz zuletzt eindringlich gefordert. Die Opposition ist noch rechter - CDU-Chef Merz will keine Geflüchteten aus Gaza, denn: "Wir haben genug antisemitische junge Männer im Land". Diese Rechtsentwicklung war zuletzt an den Ergebnissen der Landtagswahlen in Hessen & Bayern deutlich zu erkennen.
Befreiung aller unterdrückten Menschen in Israel und Palästina
Solidarität und Mitgefühl kennt keine Nationalitäten, sondern Betroffene. Wir sprechen uns aus für einen gerechten Frieden: d.h. ohne Besatzung, ohne Entrechtung und für ein gleicheberechtigtes Leben aller Menschen in Palästina & Israel. Damit stehen wir in einer Linie mit FridaysForFuture International, Human Rights Watch, Amnesty International, Judith Butler, Angela Davis sowie UN-Generalsekretär Antonio Guterres - aber im Gegensatz zum herrschenden Diskurs in Deutschland. Der deutsche Diskurs ignoriert dabei nicht nur die Perspektiven des Globalen Südens, sondern möchte sie in kolonialer Manier weiter unterdrücken.
Humanität & Völkerrecht statt Kolonialismus & Entrechtung!
Wir trauern um alle Menschen, die in Palästina und Israel vor, am und nach dem 7. Oktober ihr Leben verloren haben und fordern die Befreiung der Zivilgesellschaft. Die internationale Gemeinschaft hat Mitverantwortung für die Eskalation der Gewalt in Israel-Palästina. Das gilt besonders für die hochindustrialisierten westlichen Gesellschaften, die seit Jahrhunderten durch Antisemitismus, Rassismus, Nationalismus, Kolonialismus, Waffenlieferungen (Rheinmetall-Aktie ist seit dem 6. Oktober um über 78% gestiegen) und Kriege zu der scheinbar aussichtslosen Entwicklung in Israel und Palästina beigetragen haben.
Aus dieser Mitverantwortung ergibt sich für Menschen in Deutschland nicht, sich auf die Seite eines Staates oder einer Fahne zu stellen, sondern die humane Verpflichtung, alles Notwendige für einen Waffenstillstand, humanitäre Hilfe, soziale Entwicklung und für einen Prozess zu einem gerechten, dauerhaften Frieden zu tun. Bei internationalen Konflikten hilft ein Gut-Böse-Schema, ein Sieg-Niederlage-Denken, wenig. Die Lehren aus dem deutschen Faschismus und des zweiten Weltkriegs haben Niederschlag gefunden in der bis heute geltenden Friedensfinalität des Grundgesetzes, dem Sozialstaatsgebot und dem Anspruch auf Asylrecht. Von deutschem Boden soll nie wieder Krieg ausgehen - aufbauend auf das Friedensgebot der UN-Charta, welches die Staaten der Welt jederzeit auf die aktive Verantwortung für Diplomatie und Abrüstung verpflichtet. Frieden ist dabei ein dauerhafter Entwicklungsauftrag und bedeutet daher das Ende von Ungleichheiten: Ökonomischen Ungleichheiten bis hin zu Besatzung & Apartheid.
Brandmauer gegen rechts?
"Verschließen wir nicht die Augen vor der Wahrheit: Politisch gesehen sind wir die Aggressoren und sie verteidigen sich. Dieses Land ist ihres, weil sie darin wohnen, während wir herkommen, um uns darin niederzulassen. Und von ihrem Gesichtspunkt aus haben wir vor, sie aus ihrem eigenen Land zu vertreiben"
- David Ben-Gourion, erster Ministerpräsident des Staates Israel, Auszug aus einer Rede von 1938, zitiert aus dem Französischen übersetzt nach dem Buch von Simha Flapan, Le Sionisme et les Palestiniens, S. 141-142.
Israel ist ein kapitalistischer Staat mit weltpolitischen Interessen, die sich von den Interessen der Jüd*innen in Israel und auch weltweit unterscheiden. Der bewaffnete Konflikt in Palästina und Israel hat daher keinen religiösen - sondern einen klaren politischen Kern. Es war die Shoah, die unmittelbar dazu geführt hat, dass der Zionismus erstarkte und zur Nakba führte: Nach dem 2. Weltkrieg wurden in Palästina über 750.000 Palästinenser:innen vertrieben. Im Zuge des seither andauernden Konflikts ist Gaza, das in der Fläche nichteinmal 1/3 so groß ist wie der Landkreis Marburg-Biedenkopf, zu einem de facto Freiluftgefängnis für über zwei Millionen Menschen gemacht worden. Davon sind 65 Prozent im Kinder- und Jugendalter und kennen ein Leben ausschließlich in Bedrohung und Unterdrückung durch das israelische Militär. Das Westjordan-Land ist völkerrechtswidrig abgesperrt und wird von Israel kontrolliert. Gegen den Siedlerkolonialismus haben sich über die Jahrzehnte verschiedene Formen der Reaktion und des Widerstandes herausgebildet. Zuletzt weitete die Regierung in Israel im Koalitionsvertrag ihre Ansprüche auf das Westjordanland aus und sprach vom "natürlichen Recht" auf diese Gebiete. Das erkennbare Ziel vieler israelischen Regierungen, besonders der aktuell rechtsextremen Regierung, ist, die Palästinenser:innen als politischen Faktor zu beseitigen und Israel das von den Palästinenser:innen besiedelte Land einschließlich seiner Ressourcen endgültig anzueignen.
Weiße deutsche Europäer:innen bestimmen über die Protestform von antikolonialen Kämpfen?
Zivile Protestbewegungen wie BDS (Boycott Divestment, Sanctions) stellten sich dem entgegen. Während wir als Gruppe BDS nicht unterstützen, da wir wirtschaftliche Sanktionen, wie auch im Fall Russlands, als nicht zielführend und nur die Zivilbevölkerung treffend betrachten, sind die Ziele von BDS grundsätzlich nicht antisemitisch, da es explizit um die Einhaltung von Völkerrecht und Menschenrechten geht. Zivile Formen von Protest wurden immer wieder vom israelischem Militär, Polizei oder Siedler:innen mit Gewalt beantwortet. Es stellt sich auch schnell heraus, dass es auch keine zivile Möglichkeit gibt auf dieses faktische Unrecht aufmerksam zu machen ohne potentiell mit Antisemitismus-Vorwürfen in Berührung zu kommen.
Antisemitismus-Definitionen werden von rechts instrumentalisiert
Die Jerusalem Declaration definiert israelbezogenen Antisemitismus u.a. auch darin, dass "Symbole, Bilder und negativen Stereotypen des klassischen Antisemitismus" auf Israel bezogen werden. Dieser Antisemitismus geht vorrangig von Faschist:innen und Rechtsextremist:innen aus. Diese gibt es nicht nur in Deutschland. Die umstrittene IHRA-Definition von Antisemitismus trennt nicht zwischen 1. der Kritik am rechts regierten kapitalistischen Staat Israel und 2. Essenzialisierung/Stereotypisierung/Dämonisierung von Jüd:innen. In der IHRA-Definition wird Israel ausschließlich als Kollektiv jüdischer Menschen behandelt, was impliziert, dass es keine palästinensische Bevölkerung gäbe, die Anspruch auf Freiheit von Rassismus sowie auf Grund- und Menschenrechte hat. Kritik von Menschenrechtler:innen mit Antisemitismusvorwürfen zu begegnen, stärkt im Endeffekt den Antisemitismus und die Verschwörungstheorien, weil sie das Judentum bzw. jüdische Menschen und die Verbrechen des israelischen Staates gleichgesetzt. Folgerichtig charakterisiert Dr. Peter Ullrich in einem Gutachten die »Arbeitsdefinition Antisemitismus« der IHRA mit "[s]ystematische Lücken, mangelnde Klarheit der Formulierungen, widersprüchliche und fehleranfällige Anwendungspraxen".
Verleumdung statt Fakten
"Was Adolf Hitler und die Nationalsozialisten dem jüdischen Volk angetan haben - Vernichtung von 6 Millionen Menschen, Holocaust - darf nicht die Rechtfertigung Israels für die Diskriminierung des palästinänsischen Volkes sein. Es ist ganz besonders wichtig, dass alle in Deutschland in denen ein menschliches Herz pocht, endlich erkennen, dass Kritik an der Politik Israels nicht mit Antisemitismus gleichzusetzen ist. Ich habe nicht das Vernichtungslager Auschwitz, das KZ Ravensbrück und den Todesmarsch überlebt, um von sogenannten Antideutschen und Konsorten als Antisemitin beschimpft zu werden."
- Esther Bejarano, aus dem Film: "Zeit der Verleumder"
Zunehmend versuchen Konfliktparteien wie z.B. die israelischen Botschaft oder das Jungen Forum, der Jugendverband der Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) den Diskurs in Deutschland zu bestimmen. In ihrer "Magdeburger Erklärung" verneint das DIG seine neutrale Position explizit und bekräftigt "unabhängig von der Tagespolitik [...] ein stets als verlässlicher und kämpferischer Partner des jüdischen Staates Israel" zu sein. Obwohl sie Vertreter:innen von einer staatlichen Konfliktpartei sind, geben sie vor im Interesse aller jüdischen Menschen zu sprechen. Gleichzeitig protestieren zahlreiche jüdische Organisationen wie jewishvoiceforpeace für einen Waffenstillstand sowie ein Ende der Besatzung, indem sie z.B. die New-Yorker U-Bahn besetzten. Weil wir, wie diese Organisationen, die Besatzung und den Krieg verurteilen, fordert das Junge Forum in Marburg den SDS und die Seebrücke auf seine gesamte Arbeit einzustellen und versucht die Marburger Linke zu spalten. Ein ähnlich aggressives Vorgehen gegen Kritik zeigte z.B. der israelische UN-Botschafter, der zuletzt den Rücktritt von UN-Generalsekretär Antonio Guterres forderte, weil dieser die systematische Unterdrückung der Menschen in Palästina ansprach.
Deeskalation ist das Gebot der Stunde – Das Morden muss ein Ende haben!
Die Jahrzehnte der Vertreibung, der Gewalt sowie des Recht des Stärkeren, haben dazu geführt, dass ein Flächenbrand droht. Mit dem militärischen Eingreifen in Gaza werden unkalkulierbare politische Weichenstellungen getroffen, die Israel nicht schützen, sondern zum unsichersten Ort der Region machen werden. Unsere Bundesregierung lehnt einen Waffenstillstand ab und liefert Waffen. Doch stünde ein Waffenstillstand nicht im Widerspruch zur "Terrorismusbekämpfung". Terrorismus kann nicht durch Luftangriffe auf die Zivilbevölkerung bekämpft werden - auch nicht als Vergeltungsschläge. Denn Vergeltung ist keine Gerechtigkeit, sondern Selbstgerechtigkeit. Vergeltung ist nicht darauf aus, Frieden zu schaffen, sondern sich zu rächen. Dabei ist es die Logik des Krieges, die diese Situation überhaupt geschaffen hat. So schreibt die “Jüdisch-Arabische Bewegung für Frieden, Gleichheit und soziale Gerechtigkeit in Israel-Palästina am 9. Oktober folgerichtig:
„Der heutige Tag war ein Beweis dafür, dass die fortgesetzte Besatzung niemanden sicherer macht. Ganz gleich, wie viele Mauern gebaut werden, solange wir uns vom Weg des Krieges leiten lassen, werden wir weiterhin mit Blut bezahlen“.
Es ist zur Deeskalation notwendig, den mehrfach gezeichneten Weg zu einer politischen Lösung unter dem Vermittlungsdach der UN ernsthaft zu forcieren und dem Völkerrecht neue Geltung zu verschaffen, das die grundlegenden Menschenrechte aller Beteiligten ebenso garantiert, wie die Beendigung der illegalen Besatzung und Besiedlung palästinensischer Gebiete, die Internationalisierung Jerusalems und das Rückkehrrecht bzw. die angemessene Entschädigung der vertriebenen Palästinenser:innen und ihrer Nachkommen und die Anerkennung der vollständigen Rechtsgleichheit aller. Alle Menschen haben das gleiche Recht auf Würde, soziale Sicherung, die gerechte und nachhaltige Nutzung der Ressourcen und ein Leben in Frieden – auch alle Israelis und Palästinenser:innen.