„Da klappt mir das Messer in der Tasche auf“ – Offener Brief an das Präsidium der Uni Marburg, Angela Dorn und das Landesparlament: Öffnung der Unis! Wintersemester in Präsenz!
Aktuell befinden wir Studierende uns durch die geschlossenen Universitäten und Hochschulen in einer Situation, in der viele der Studierenden mit Vereinzelung zu kämpfen haben. Viele von uns sind mit Finanznöten, hohen Mieten und Leistungsdruck konfrontiert und leiden unter fehlendem Equipment und Infrastruktur (z.B. Internet) für die nun drei Online-Semester in Folge. Fehlende finanzielle Ressourcen werden also schnell zum Ausschlusskriterium vom Studium. „Die Folgen der langen Isolation und der häufig prekären Lage vieler von uns sind massive psychische Probleme wie Depressionen, Panikattacken, Angststörungen und vieles mehr. Hinzu kommt weitere Überlastung durch Mehrarbeit, was ja in vielen Studien belegt wurde, Jobsuche oder Arbeitsstress und die persönliche Situation durch die Umstellung, aufgrund der Corona-Maßnahmen und der mit ihnen verbundenen Unsicherheiten“. Ein großer Teil der Studierenden lebte schon vor März 2020 unter der Armutsgrenze und fiel durch viele Unterstützungsraster hindurch (z.B. wegen rigider BAföG-Rahmenbedingungen).
„In dieser Situation war die „Überbrückungshilfen“ des BMBF ein Tropfen auf den heißen Stein. Diese Nothilfe ging bereits in ihrer Aufstellung davon aus, dass die meisten Studierenden das Privileg hätten von ihren Eltern unterstützt zu werden. Dass dies nicht zutrifft und dadurch die sozialen Undurchlässigkeiten des Bildungssystems wieder einmal verschärft wurden, wurde von den Verantwortlichen weitestgehend ignoriert.“
Die Krise hat wie unter einem Brennglas durch den Wegfall vieler Nebenjobs die Lage für uns noch weiter verschärft. die strukturellen Probleme der Universität und des Studiums hervorgehoben. So kann zum Beispiel nicht von gleichen Chancen im Bildungszugang geredet werden, wenn es im Marburger Studentendorf immer noch kaum Zugang zu Internet gibt und an der Uni keine ausgestatteten Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt wurden, über welche an Seminaren, Übungen und Tutorien via Mikrophon beizuwohnen möglich ist.
Ungünstiger Weise fallen all diese strukturellen Probleme zusätzlich mit einer strukturell unterfinanzierten Universität zusammen, die selbst wenn sie die Probleme als solche bekämpfen wolle, nicht die nötigen finanziellen Mittel hätte, um sie konsequent anzugehen.
„Dadurch, dass sich die Betreuungsrelation seit Jahrzehnten eher verschlechtert als verbessert hat und Frontalunterricht in Lehrveranstaltungen eher zur Normalität als zur Ausnahme geworden ist, kann der erhöhte Betreuungsbedarf in einem Online-Semester von dem ausgedünnten Personal der Fachbereiche nicht mehr aufgefangen werden.“
Viele Kommiliton*innen fühlen sich durch die äußeren Bedingungen oder aus Frust, dass sie keinen Anschluss finden, dazu gezwungen ihr Studium aufzugeben. Allein in einer neuen Stadt, ohne soziale Kontakte, konfrontiert mit einer neuen Lernumgebung, in der sie sich ganz allein ohne Ansprechpersonen zurechtfinden müssen.
Da die Universitätsfinanzierung an die Studierendenzahlen gebunden ist, fallen durch Studiumsabbrüche, aufgrund der schlechten Studienbedingungen, viele Gelder vor Ort weg. Dies wirkt sich wiederum auch negativ auf die Stadt, den Kulturbetrieb und Einzelhandel aus.
Was muss also passieren? Wir wollen nicht zur Normalität zurückkehren – da die Lehre und das Studium auch schon vor Corona die strukturellen Probleme in sich trugen, die jetzt umso stärker zum tragen kommen. Um dem entgegenzutreten, ist einer der Bausteine die Umsetzung von Lehre in Präsenz unter sicheren Bedingungen. Damit meinen wir sowohl psychische als auch physische Aspekte. Es bedarf zum einen den Maßstäben entsprechende Hygienemaßnahmen (d.h. z.B. Luftfilter, angemessene Raumgröße, Hybrid-Equipment usw.). Zum anderen darf die Verantwortung für die Umsetzung der Lehre (also u.a. das Beantragen von Räumen oder Vorlegen von Hygienekonzepten) nicht auf den Schultern der Lehrenden liegen, welche häufig unter ähnlichen psychischen und finanziellen Bedingungen wie die Studierenden lehren, sondern sie müssen finanziell vom Land getragen und von Seiten der Univerwaltung umgesetzt werden.
Wir sagen: „Präsenzlehre kann nicht Ausnahme, sondern muss Standard sein. Die Massenstudierendenhaltung durch die unzureichende „Online-Lehre“ muss ein Ende haben, ein Weg zu sinnvoller Digitalisierung muss gefunden werden, sodass digitale Mittel Studium und Lehre unterstützen können und sie nicht ersetzen.“
„Ein sinnvolles Vorgehen wäre es Präsenzveranstaltungen zu nutzen, um die Studienbedingungen gemeinsam mit allen Mitgliedern der Universität zu verbessern. In 1 ½ Jahren nicht-existentem öffentlichen Uni-Leben wurden von allen Seiten viele Erfahrungen gesammelt, die es aufzuarbeiten und ins Positive zu wenden gilt. Dafür brauchen wir die kollektive Klugheit der gesamten Universität. Nur gemeinsam können wir zu fundierten und demokratischen Lösungen finden und im horizontalen Austausch voneinander lernen.“ Sagt die Studi-Initiative ReVerBi, die sich gegen die Einsparungen am Fachbereich 03 einsetzt.
Wir fragen die Verantwortlichen in Präsidium und Landtag, wie sie es verantworten können, dass ein Studium unter diesen Umständen stattfinden muss und gerade die finanziell Schwachen nochmal härter getroffen werden. Wie kann es sein, dass „Gute Lehre und Gute Arbeit in der Wissenschaft“ propagiert werden, aber Bildungschancen abgebaut und soziale Schranken verstärkt werden?
Viele in Verantwortungspositionen haben selbst mal studiert, Sie wissen: Wie wichtig Austausch im Studium ist.
Wir brauchen die Präsenzlehre, damit wir nicht unseren WG- oder Wohnheimzimmern vereinzeln, damit nicht immer mehr am Existenzminimum stehen, damit nicht immer mehr ihr Studium abbrechen, damit Austausch, kulturelles und studentisches Leben, sprich ein gutes Studium an der Uni wieder möglich wird.
Zusammengefasst: Nach drei Semestern Onlinelehre ist es höchste Zeit, so weit wie möglich, zu einem echten Lehrbetrieb und auch dem universitären Kulturbetrieb mit studentischen Veranstaltungen in Präsenz zurückzukehren.
Auch unter Pandemiebedingungen sind kleinere Seminare und Kleingruppenarbeiten möglich und werden an einigen Fachbereichen bereits angeboten. Dabei darf jedoch nicht aus dem Blick geraten, dass angesichts der pandemiebedingten ökonomischen Schwierigkeiten viele Studierende aus Marburg wegziehen mussten. Weder ein Wegzug vom Wohnort noch die Angehörigkeit zu einer Risikogruppe darf hier zu einer Benachteiligung führen; vielmehr muss die Lehre inklusiv und an die Bedürfnisse der Studierenden angepasst sein. Aus diesem Grund sprechen wir uns nachdrücklich dafür aus, Hybridveranstaltungen als Lehrkonzept durchzuführen und die dafür notwendigen technischen Mittel aufzutreiben. Uns ist klar, dass dafür finanzielle Mittel notwendig sind und deshalb wenden wir uns auch an die hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Angela Dorn: Ihr neuer Hochschulpakt verspricht den Universitäten mehr Geld – aber erst in 5 Jahren! Das sind 5 Jahre zu spät, denn die Universitäten brauchen jetzt die finanziellen Mittel um die Lehre auf dem „gewohnt hohen Niveau“ weiterzuführen.
Unternehmen können gerettet werden und auch die Schulen wurden unterstützt, um den Unterricht einigermaßen aufrecht erhalten zu können. Jetzt ist es Ihre Aufgabe als Ministerin das gleiche für die Unis zu tun. Statt sich für den Hochschulpakt zu feiern, sollten Sie sich schnellstmöglich einen Plan überlegen, wie wir endlich wieder studieren können!
Wir fordern außerdem den Senat auf: Setzen Sie sich in Wiesbaden für uns ein! Sie haben eine Stimme: Nutzen Sie diese!
Dasselbe gilt sowohl für unsere noch Präsidentin Prof. Krause, aber auch für den neu gewählten Präsidenten Prof. Nauss: Zeigen Sie, dass Sie dieser Stelle würdig sind und setzen Sie sich für die Studierenden und die Universitätsangehörigen, für die Sie die Verantwortung tragen, ein und unterstützen Sie uns in unserem Kampf für Präsenzlehre und adäquate Bedingungen!
ReVerBi & SDS Marburg